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ANAGNIA

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Anagnia (Anagni in der Region Lazio in Italien)

Ein sehr alter Siedlungsplatz

Der Zentralort des Stammes der Herniker lag in 460 m Höhe an der Nordseite des Trerustales in Latium und war laut Meilensteinangabe 42 Meilen (62,2 km) vom Zentrum Roms entfernt. Grabungsfunde belegen eine menschliche Besiedelung des Platzes bereits vor mehr als 700.000 Jahren. Die Herniker waren vermutlich vom Anienetal eingewandert und scheinen entweder von der Marsern oder den Sabinern abzustammen. Der heute gesprochene lokale Dialekt weist noch immer gewisse Reste des Altlateins und der anderen altitalischen Sprachen auf.

Vermutlich im 7.Jh.v.Chr. scheinen sich die Siedlungen Aletrium (Alatri), Capitulum (Piglio), Verulae (Veroli) und Ferentinum (Ferentino) unter der Führung von Anagnia zusammengeschlossen zu haben. Bereits zu dieser Zeit bestanden Beziehungen mit Rom. So soll der Anagniner Laevius Cispius dem König Tullus Hostilius Militärhilfe geleistet haben.

Die Einverleibung durch Rom 

Als Verbündete der Samniten stand die Stadt im Samnitenkrieg auf der antirömischen Seite und wurde 306 v.Chr. durch den Konsul Quintus Marcius Tremulus erobert. Dieses Jahr brachte auch die letzte confoederatio Hernica (Stammesversammlung der Herniker) hervor, die im lokalen Circus Maritimus (vermutlich kein Zusammenhang mit dem Meer, sondern von einem Personennamen hergeleitet) abgehalten wurde. In weiterer Folge stand Anagnia im Bündnis mit Rom gegen die Volsker und sank zu einer civitas sine suffragio (Siedlung ohne Wahlrecht) unter der Aufsiht eines Präfekten, der seine Anweisungen von den stadtrömischen Magistraten erhielt, herab.

Eine regionale Bedeutung besass die Stadt aber weiterhin wegen ihrer zahlreichen Heiligtümer. Eine lange Tradition in der Interpretation von göttlichem Willen machte Anagnia darüber hinaus bekannt. Noch im 2.Jh.n.Chr. bewahrte man hier entsprechend wertvolle etruskische Handschriften auf, wie aus einer Erwähnung des Kaisers Marcus Aurelius hervorgeht. Mit dem liber linteus Zagrabiensis (einzig erhaltenes Leinenbuch der Antike von um 100 v.Chr.; in noch nicht wirklich entzifferter Etruskischer Schrift gehaltener religiöser Text) hat sich auf dem Umweg über den Verband einer ägyptischen Mumie sogar eine hiervor erhalten.

Für das 7.Jh.v.Chr. konnte ein reger kultureller und vor allem ökonomischer Austausch mit den Etruskern und den griechischen Kolonien in Süditalien nachgewiesen werden. Für den Handel wichtig war die Rolle von Anagnia als Verkehrsknotenpunkt, denn unterhalb der Siedlung trafen im compitum Anagniae (Anagnische Kreuzung) die via Labricana und die via Praenestina aufeinander. Archäologische Grabungen bestätigten zudem die grosse Bedeutung des Weinbaus für die Region.

Nach der Verleihung des Bürgerrechts an alle Latiner wählten die Bewohner in der tribus Publilia und wurde municipium (Siedlung mit Stadtrecht). Der Bürgerkrieg am Ende der Republik scheint an Anagnia ohne besondere Ereignisse vorübergegangen zu sein und der Ort entwickelte sich zu einem Wohnsitz begüterter Römer, wie etwa Cicero. In der hohen Kaiserzeit verbrachten einige Kaiser hier ihren Sommerurlaub, so Antoninus Pius, Marcus Aurelius, Septimius Severus, Commodus und Caracalla und brachten so entsprechenden Reichtum in die Stadt. Die Villa Magna des Antoninus Pius wurde erst 2006 archäologisch ergraben.

Der Niedergang in der Spätantike

Mit der ökonomischen Krise der Spätantike reduzierte sich das Einzugsgebiet von Anagnia drastisch. Alle Siedlungen ausserhalb des eigentlichen Stadtkerns, d.h. entlang der Einfallsstrassen und im Talbereich wurden aufgegeben. Das Wissen um die einstige Grösse ging jedoch nicht verloren, sodass man im 10.Jh.n.Chr. den Stadtkern immer noch civitas vetus (alte Siedlung) nannte.

Trotz der Bevölkerungsabnahme behielt Anagnia seine Stellung als religiöses Zentrum - nun eben des Christentums. Bereits im 5.Jh.n.Chr. bestand ein Bischofssitz, denn ein Bischof namens Felix nahm 487 n.Chr. an der Lateransynode teil und 499 n.Chr. gehörte ein gewisser Fortunatus zu den Unterzeichnern der Synodenakten. 851 n.Chr. fungierte Zacharias von Anagni als päpstlicher Legat in der Synode von Konstantinopel. 896 n.Chr. wurde der lokale Bischof als Stephanus VI. zum Papst gewählt. In dieser Zeit errichtete man auf den Ruinen des Cerestempels eine Kathedrale.

Die weitere Entwicklung im Mittelalter

Im Jahrhundert darauf begann man wieder sich der einst aufgelassenen Flächen zu bemächtigen. Mit tatkräftiger Unterstützung der Kirche wurden Wälder gerodet und die Landwirtschaft angekurbelt, was wiederum zu einer Bevölkerungszunahme führte. Im 10. & 11.Jh.n.Chr. entdeckten die Päpste Anagnia für sich als Feriendomizil und entsprach damit dem heutigen Castel Gandolfo. Hier war es nicht nur politisch sicherer als in Rom, wo oft Seuchen grassierten. Obwohl es auch hier eine antipäpstliche Fraktion gab, etablierte sich die Stadt als bevorzugte Papstresidenz im 12. & 13.Jh. So verwundert es nicht, dass hier einige wichtige religiös-politische Entscheidungen der Päpste getroffen wurden, wie etwa der pactum Anagninum (Anagnische Vereinbarung) des Jahres 1176 zwischen Papst Alexander III. und kaiserlichen Gesandten nach der Schlacht von Legnano. Die enge Bindung zwischen Papsttum und Stadt manifestierte sich schliesslich in der Stellung von ganzen vier Päpsten (Innozenz III., Gregor IX., Alexander IV. & Bonifatius VIII.) durch die lokale Familie der Conti. 1303 setzten französische und italienische Truppen den Papst in seiner Sommerresidenz in Anagnia gefangen, doch konnte dieser von der einheimischen Bevölkerung befreit werden. Diese Episode läutete den erneuten Niedergang der Stadt ein, welcher durch die Verlegung des päpstlichen Hofes nach Avignon sich verstärkte. 1348 nahm der Herzog Werner von Urslingen die Stadt ein und zerstörte sie. Der wenige besiedelte Platz dümpelte bis 1556 vor sich hin, als Papst Paul IV. von spanischen Truppen hier belagert wurde. 1564 liess Papst Pius IV. die Stadtmauern verstärken und für kurze Zeit blühte die Siedlung unter dem Statthalter Kardinal Benedetto Lomellino wieder auf, doch erst im 17.Jh. konnte Anagni wieder einigermassen an seine alte Tradition anschliessen.

Auch Anagnia wurde nicht an einem Tag erbaut.


Quellen: "Der kleine Pauly"; en.wikipedia.org
 

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(PL)