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Bibliotheken in Rom

Die 1. Hälfte des  1. Jahrhundert v.Chr.

Die Expansion Roms vor allem in Griechenland und Kleinasien brachte eine Vielzahl von Beutegut in die Tiberstadt. Plündern bedeutete damals nicht nur einfach mutwilliges und unkoordiniertes Mitnehmen von wertvollen Gegenständen, sondern auch kalkuliertes Entfernen und Sicherung von Beständen vor weiterer Zerstörung. Auf diesem Weg sollten noch viele Schriften vom Osten in das Zentrum des beginnenden römischen Weltreiches gelangen. Paullus hatte so die erste bezeugte Bibliothek nach Rom geschafft. In seine Fussstapfen traten der Politiker Sulla und der Feldherr Lucullus.

Sulla hatte das Glück, die ehemalige Privatbibliothek des Aristoteles in seine Finger zu bekommen. Über mysteriöse Umwege war sie in den Besitz eines Bibliophilen namens Apellikon in Athen gelangt. Nachdem Sulla die Stadt 86 v.Chr. eingenommen hatte und Apellikon kurze Zeit später darauf starb, brauchte der Eroberer nur mehr zuzugreifen. Sämtliche Bestände wurden nach Rom verbracht, wo sich herausstellte, dass darin nicht nur Aristoteles’ Werke sondern auch die seines Schülers Theophrast enthalten waren.

Durch unsachgemässe Lagerung in den vergangenen Jahren waren zahlreiche Schriften restaurierungsbedürftig. Apellikon hatte zwar einiges ausbessern lassen, aber da er kein Gelehrter war, unterliefen seinen Schreibern dabei viele Fehler. So mussten die Bestände in Rom als erstes katalogisiert und später wieder in Stand gesetzt werden. Nach dem Tode Sullas ging die Bibliothek in die Hände seines Sohnes Faustus über, der aber kaum Interesse daran hatte. Er überliess die Verwaltung einem Bibliothekar, der zudem in Tyrannion - einem in Italien lebenden griechischen Gelehrten - einen Mann fand, der die Bücher sachgerecht überarbeiten und restaurieren konnte.

Die Bibliothek des Lucullus entsprang dem Beutegut aus seinen Feldzügen quer durch Kleinasien. Nachdem er 66 v.Chr. sein Kommando abgeben hatte müssen, zog er sich ins Privatleben zurück und frönte fortan dem Luxus. Jede seiner Villen und Häuser besass eine eigene Bibliothek, die er mit den erbeuteten Werken füllte. Sie wurden alle nach dem gleichen Muster entsprechend der Bibliothek in Pergamon angelegt, was einen Magazinkomplex, einen Säulengang für die Benutzer und Gesellschaftsräume für die Diskussion beinhaltete. Befruchtend für die Kultur Roms war die Tatsache, dass Lucullus seine literarischen Schätze nicht nur für sich und seinem engen Kreis von Freunden reservierte, sondern den in Rom lebenden Gelehrten zugänglich machte.

Besonders die griechischen Gelehrten fern der Heimat waren entzückt; konnten sie doch nun alle Werke in ihrer eigenen Sprache und vielfach aus dem Original begutachten. Ab dieser Zeit tauchen auch lateinische Texte in diesen Bibliotheken auf, da sie ständig ergänzt wurden. In Summe blieb aber das Latein deutlich in der Minderheit.

Andere Familien, die keine grossen Politiker und Generäle hervorbringen konnten, und dennoch an Büchersammlungen interessiert waren, blieb nur die Knochenarbeit des Kaufens und Kopierens. Auf diesem Weg entstanden vor allem Fachbibliotheken von Privatgelehrten und Spartensammlungen von Literaturliebhabern. In diesen Bibliotheken war der Anteil der lateinischen Autoren naturgemäss grösser, wenn auch das Griechische mehr als die Hälfte ausmachte. Auf diese Art zustande gekommene Sammlungen gehörten etwa Cicero, dessen Freund Atticus oder Varro. Letztere stellte viele Privatbibliotheken in den Schatten, denn mit unendlichem Fleiss produzierte Varro auch selbst Bücher am laufenden Band.

In jenen Tagen erreichten diese Bibliotheken Ausmasse, dass sie von Fachleuten geordnet und von mehreren Bibliothekaren verwaltet werden mussten. Cicero und Atticus rekrutierten ihr Person etwa aus gebildeten griechischen Sklaven, die auch Abschriften anfertigen konnten. Wenn ihr Wissen nicht mehr ausreichte, griff man auf Gelehrte, wie etwa Tyrannion - der schon Sullas Bibliothek ordnete - zurück. Kam es zu Engpässen, so lieh man sich gelegentlich Personal voneinander aus.

Je mehr Benutzer es gab und je zugänglicher die Werke wurden, umso schneller nutzten sich die Bücher ab. Zudem begann sich die Problematik des Diebstahls bemerkbar zu machen. Selbst Cicero war davor nicht gefeit. Im Herbst 46 v.Chr. schrieb er an Publius Sulpicius, den Befehlshaber der Truppen in Illyrien:

„Mein Sklave Dionysius, der meine sehr kostbare Bibliothek beaufsichtigte, hat viele meiner Bücher gestohlen und sich, da er wusste, was ihm blühen würde, aus dem Staub gemacht. Er hält sich in Deinem Gebiet auf. mein Freund Marcus Bolenus und etliche andere Leute haben ihn in Narona (südlich von Split) gesehen, aber er erzählte ihnen, ich hätte ihn freigelassen, und sie glaubten ihm. Ich kann Dir nicht schildern, wie froh ich wäre, wenn Du dafür sorgen könntest, dass er mir zurückgebracht wird.“

Der Befehlshaber wechselte und im Juli 45 v.Chr. schrieb P.Vatinius an Cicero:

„Ich habe erfahren, dass sich Dein Ausreisser, den Vardei (ein lokaler Volksstamm) angeschlossen hat. Du hast mir hinsichtlich seiner keine Anweisungen erteilt; ich erliess jedoch einen vorläufigen Befehl, in zu Wasser und zu Lande zu verfolgen, und ich werde ihn bestimmt für Dich finden.“

Im Jänner 44 v.Chr. musste der Kommandant zähneknirschend eingestehen, dass er den Ausreisser nicht mehr hatte einfangen können. Da hiermit der Briefwechsel endete, ist davon auszugehen, dass Dionysius die Flucht gelungen war.

Eine Zeit, die nur Privatbibliotheken kannte, bedeutete für Forscher grösseren Aufwand, als wenn sie einfach in die nächste öffentliche Einrichtung gehen konnten. Benötigte etwa Cicero Bestände, die bei ihm nicht vorhanden waren, so lieh er sie sich von seinem Freund Atticus aus. Bestand ein tiefes Vertrauensverhältnis, so konnte dies auch ohne spezielle Erlaubnis des Sammlungsinhabers geschehen. Wenn Cicero in einer seiner Landvillen war, liess er seine Sklaven zu den Nachbarn gehen.

Aus Funden in Herculaneum weiss man, wie man sich so eine Privatbibliothek in einer Landvilla vorzustellen hat. Sie bestand aus einem quadratischen Raum von ca. 3 m Seitenlänge, dessen Wände übermannshoch mit Holzregalen bestückt war. Ein freistehender Bücherschrank von 1,8 m Höhe mit Brettern auf beiden Seiten stand in der Mitte. Auf jedem Regal stapelten sich die Schriftrollen, in Summe an die 1.800 Stück. Durch eine Tür gelangte man in die angrenzende Kolonnade. Der Fund war seinerzeit so bemerkenswert, dass das Gebäude den Namen „Villa dei papiri“ bekam.

Die Bestände waren durch den Vesuvausbruch natürlich verkohlt worden. Dennoch gelang es über die Jahrzehnte genug Rollen so zu konservieren, dass man ihren Inhalt in Erfahrung bringen konnte. Es handelte sich um eine Fachbibliothek mit hauptsächlich griechischen, weniger lateinischen Werken. Die meisten Papyri stammten von Philodemos, einem epikuräischen Philosophen von ca. 75 bis 40 v.Chr. Eine derart spezialisierte Bibliothek konnte sich nur ein wohlhabender Mann leisten und tatsächlich gehörte die Villa L. Calpurinius Piso, dem Schwiegervater Caesars.

In diesem Zeitalter vervollständigte sich eine Bibliothek hauptsächlich durch die Kopien aus dem Freundeskreis. Neuerscheinungen wurden hingegen nicht verkauft, sondern meist mit Widmung verschenkt. Ein Autorenhonorar oder Urheberrecht gab es in der Antike nicht. Wenn man genug „verschenkt“ hatte, galt das Werk als allgemein zugänglich. Wenn es Interesse fand, wurde es ohnehin kopiert. Ärger gab es nur dort, wo Schriften veröffentlicht wurden, die entweder nicht dafür bestimmt waren, oder nur reine Manuskripte waren. Da letztere eben nicht der Endfassung entsprachen, bestand die Gefahr, dass der Autor wegen mangelnden Inhalts in Verruf geriet. Selbst Cicero erging es einmal so mit seiner Schrift De finibus (Über das Ende).

Bücher konnte man selbstverständlich auch kaufen, auch wenn es in Rom nur wenige spezialisierte Buchhändler gab. Man bezeichnete ihr Lokal als taberna libraria (Buchladen). Sie waren zu dieser Zeit nicht gerade angesehen, da sie sich hauptsächlich mit dem Kopieren beschäftigten und nicht den Inhalt auf Fehler durchsahen. Mancher Buchhändler schmeichelte sich bei den Privatbibliothekaren ein, um an Originale zu kommen, die sie kopieren und dann verkaufen konnten. Im allgemeinen war die daraus produzierte Qualität gering, zu sehr stand der Kopierprozess unter dem Druck des Verkaufens. Selbst Cicero musste zur Kontrolle auf einen Fachmann wie Tyrannion zurückgreifen, wenn sein Bruder als letzten Ausweg eine derartige Kopie erstand.

Dem Charakter nach, waren diese Läden nichts anderes als Skriptorien, in denen am laufenden Band von Schreibern kopiert wurde. Vermutlich gab es Standardwerke (z.B. Homer, Euripides oder Platon) die auf Vorrat produziert wurden. Sie inhaltlich zu kontrollieren war leicht. Einige Händler spekulierten hoch, indem sie Werke verkauften, von denen sie noch keine Originale besassen. Sie mussten dann auf Teufel komm raus versuchen an diese Schriften zu gelangen, um sie kopieren zu können.

Am sichersten war der Erwerb von Büchern im Ausland, besonders an den Haupthandelsorten Alexandria, Athen und Rhodos. Dort war der Buchhandel schon seit Jahrhunderten etabliert. Wer es sich leisten konnte, liess sich von Freunden im Ausland eine Sammlung zusammenstellen. Atticus tat dies etwa für Cicero, der dann praktisch sein letztes Hemd für diese Kollektion ausgab.

Bislang wurde immer nur von Männern berichtet, die sich eine Bibliothek einrichteten. Die Benutzung stand natürlich beiden Geschlechtern offen. So war es auch, dass sie mehr Zeit damit verbringen konnten, als ihre Männer mit „Beruf“. Die Folge war eine nicht geringe Zahl von gebildeten Frauen der Oberschicht. Cicero selbst bezeichnete seine Tochter Tullia als doctissima (hoch gebildet). Neben der Nutzung standen diesen Frauen auch Privatlehrer zur Seite, wie etwa der Tochter des Atticus. Pompeius’ Tochter lernte bereits im Kindesalter Griechisch und eine seiner Ehefrauen war Expertin für Literatur, Musik, Geographie und Philosophie. Selten, aber doch, gab es Frauen, die eine eigene Sammlung angelegt hatten. Caerellia, Freundin oder Verwandte des Cicero, interessierte sich vorwiegend für philosophische Fragen und kopierte sich deswegen alles, was ihr zum Thema nur irgendwie in die Finger kam. Der Schriftsteller Varro listet in der Einleitung seines Werkes über die Landwirtschaft 50 Titel auf, die seine Frau lesen sollte.

Dies waren die Zustände bis in die Mitte des 1.Jh.v.Chr. Der erste, der an die Errichtung einer öffentlichen Bibliothek dachte, war Caesar. Kurz vor seiner Ermordung gedachte er eine derartige Einrichtung mit griechischen und lateinischen Autoren ins Leben zu rufen. Den Aufbau sollte Marcus Varro leiten, denn dieser hatte kurz zuvor eine Werk über Bibliotheken geschrieben. Der Tod des Diktators stoppte das Vorhaben jedoch vorzeitig. Einige Jahre später sollte der Dichter, Historiker, General und Staatsmann Asinius Pollio Caesars Vorhaben aufgreifen und eine öffentliche griechisch-lateinische Bibliothek in die Tat umsetzen. Dieses Ereignis kennzeichnet den Eintritt in ein neues Zeitalter des römischen Bibliothekswesens.

Ptolemaios I. Soter gründete die Bibliothek von Alexandria, die Vorbild für alle anderen Grossbibliotheken jener zeit wurde

 


Quellen: W.Hoepfner "Antike Bibliotheken", L.Casson "Bibliotheken in der Antike", "Der kleine Pauly"

 

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(PL)