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APP.CL.CR.INR.SAB. I
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Appius Claudius Crassus Inregillensis Sabinus

Das verhängnisvolle zweite Dezemvirat

Das Jahr 450 v.Chr. begann bei vielen Menschen mit politischem Unwohlsein. Wohl werden die beiden Gesetzestexte rasch erstellt worden sein, denn sie fanden Zustimmung in den Zenturiatskomitien, was angesichts der folgenden Ereignisse zu einem späteren Zeitpunkt nur schwer möglich gewesen wäre.

Appius Claudius und die anderen Decemvirn benahmen sich immer mehr wie ein Kollegium aus zehn Dictatoren. Ursprünglich war das Tagesgeschäft jeden Tag wechselnd von einem anderen Decemvir übernommen worden. Deswegen hatte dieser an seinem Tag auch das Anrecht auf zwölf Liktoren. Doch nun beanspruchten alle Decemvirn eine solche Ehrengarde für sich. Die Rechtsprechung wurde rasch zur Farce, indem eigene Anhänger bevorzugt wurden und auch politische Entscheidungen wurden nach Gutdünken der Kollegiumsmitglieder getroffen. Dabei machte man kaum Unterschiede zwischen Patriziern und Plebejern. Um der Tyrannei zu entgehen, flohen viele wohlhabende Patrizier auf ihre Landgüter in der Umgebung Roms, doch die Masse der plebejischen Bevölkerung musste tagtäglich mit den Auswirkungen der Willkürherrschaft leben. Gegenseitiges Einschreiten, welches das Fundament zur Beschränkung des Machtmissbrauchs war, unterblieb nun völlig. Appius Claudius hatte seine Amtskollegen fest im Griff.

Die innenpolitische Anspannung blieb den äusseren Feinden Roms nicht verborgen und so rückten Aequer und Sabiner in Annahme eines geschwächten Gemeinwesens gemeinsam auf römisches Territorium vor. Die Decemviri stellten sogleich eine Armee auf und bestimmten das angesehenste Mitglied der Decemvirn, Quintus Fabius Vibulanus, zum Feldherrn. Trotz dessen ausgezeichneter Reputation in militärischen Dingen und seiner Beliebtheit beim Volk, kamen die Soldaten ihrem Auftrag nur widerwillig nach oder weigerten sich überhaupt zu kämpfen. Sie und ihre Familien waren es nämlich, die am meisten unter der Tyrannei zu leiden gehabt hatten.

Angesichts der wachsenden Bedrohung von aussen organisierte sich in Rom nun endlich der Widerstand rund um herausragende Persönlichkeiten wie Marcus Horatius und Lucius Valerius. Doch auch gemässigte Mitglieder der Claudier, allen voran Appius' Bruder Gaius, nahmen nicht mehr jede Entscheidung der Decemvirn hin.

Trotz dieses Widerstandes, schaffte es Appius Claudius immer wieder durch geschickte Manöver politische Angriffe auf sich und seine Amtskollegen ins Leere laufen zu lassen. Trotz mancher Entscheidung mit Schieflage funktionierte das römische Gemeinwesen weiter und eine vielleicht befürchtete Invasion der äusseren Feinde war ebenfalls ausgeblieben.

Das Ende des Decemvirates und vor allem des Appius Claudius wurde nicht auf politischer, sondern auf zu tiefst persönlicher Ebene eingeleitet. Obwohl für damalige Verhältnisse bereits im fortgeschrittenen Alter vom gut 60 Jahren war er einem jungen Mädchen namens Verginia verfallen, das ihn wegen ihrer Schönheit und Anmut beeindruckte. Um an sie endgültig heranzukommen - er scheint bei ihr abgeblitzt zu sein - hatte er Marcus Claudius - einen seiner engsten Klienten - dazu gebracht öffentlich zu behaupten, dass das Mädchen nicht frei geboren sei. Vielmehr wäre es noch als Säugling aus seinem eigenen Haushalt geschmuggelt worden.

Natürlich wurde angesichts aufkeimenden Protestes im Volk sogleich ein Prozess angesetzt, um diesen Status zu klären. Angesichts der Machtfülle von Appius Claudius landete das Verfahren schlussendlich vor ihm selbst als Richter. Für kaum jemanden überraschend entschied der Decemvir zugunsten seines Klienten. Damit war Verginia plötzlich zur Sklavin eines für sie fremden Mannes geworden. Der Vater konnte ihr nicht helfen, da er zu diesem Zeitpunkt als Centurio im Feld stand.

Vom Prozess in Kenntnis gesetzt eilte Verginius nach Rom und erreichte das Forum kurz nach der Urteilsverkündung. In absoluter Verzweiflung und voller Überzeugung, die Ehre einer freien Tochter sei wichtiger als das unwürdige Leben einer Sklavin, tötete er sie vor aller Augen. Das Volk war ob des entschlossenen Vorgehens dem Vater wohlgesonnen bei seinen weiteren Aktivitäten. Um den wahren Schuldigen an dieser Tragödie zu Fall zu bringen, benötigte er die Unterstützung des im Feld stehenden Heeres und es gelang ihm es zur Rebellion zu bewegen. Demonstrativ zogen auch die Plebejer aus der Stadt auf den Janiculumhügel jenseits des Tibers. Man forderte lautstark den Rücktritt der Decemvirn, deren Auslieferung und damit die Rückkehr zur verfassungsmässigen Ordnung.

Die Gesetzestexte waren schon lange fertiggestellt und die Jahresfrist war ebenfalls bereits überschritten worden. Damit gab es auch rechtlich keinen Grund mehr, das Kollegium im Amt zu belassen. Jeder weitere Tag stellte einen Verfassungsbruch dar. Angesichts dieser unhaltbaren Situation gaben die Decemvirn nach und traten unter einer Bedingung geschlossen zurück: man dürfe sie nicht dem Volkszorn ausliefern. Dies wurde schliesslich akzeptiert und das zweite Decemvirat war Geschichte. Nun konnten endlich wieder Wahlen zu den ordentlichen Magistraten des Jahres 449 v.Chr. abgehalten werden.

Tod

Während sich die neun anderen Decemviri bedeckt hielten und sich aus der Politik heraushielten, trat Appius Claudius auch als Privatmann wieder öffentlich am Forum als Redner auf. Was bei vielen für entsetztes Erstaunen sorgte, liess Verginius - mittlerweile zum Volkstribunen gewählt - zur Tat schreiten. Er hielt Claudius fest und beschuldigte ihn gegen eines der eigenen Gesetze verstossen zu haben, nämlich dass niemand unter falschen Anschuldigungen in die Sklaverei geführt werden dürfe. Der ehemalige Decemvir versuchte sich loszureissen und zu verteidigen, erhielt jedoch von niemand Hilfe und wurde schliesslich ins Gefängnis geworfen.

Die Familie unter der Führung von Gaius Claudius versuchte noch ihn mit rechtlichen Mitteln aus dem Gefängnis zu boxen, doch als der eingebrachte Antrag scheiterte, war Appius Claudius klar, dass er sein Leben verwirkt hatte. Über seinen Tod gibt es zwei unterschiedliche Versionen. Die eine - von Livius überliefert - lässt ihn Selbstmord begehen, die andere - durch Dionysios von Harlikanassos auf uns gekommen - berichtet davon, dass die neuen Volkstribunen ihn im Gefängnis ermordeten, als sie die Gelegenheit dazu vorfanden.

Bewertung

Der Name Appius Claudius wurde schon bald zum Synonym für die Arroganz des einzelnen im allgemeinen und die der Familie der Claudier im speziellen. Als Musterbeispiel zeigen die Vorkommnisse die Verquickung von privater und politischer Machtkonzentration samt der daraus resultierenden schlimmen Folgen.

Dennoch darf die Leistung der Dezemviri und im speziellen des Appius Claudius nicht unterschätzt werden. Die Kodifizierung des römischen Rechts stellte einen Meilenstein in der Rechts- und Staatsentwicklung Roms dar, die noch Jahrhunderte nachwirkten sollte. Noch in der Kaiserzeit beriefen sich Anwälte und Richter auf die Zwölftafelgesetze, obwohl sie in dieser Zeit im Grunde bereits lange überholt waren.

Inwieweit die Vorfälle rund um den Sturz des Appius Claudius tatsächlich vollkommen der historischen Wahrheit entsprechen ist unbekannt, da in späteren Jahrhunderten sowohl von der eigenen Familie, als von Gegnern die tatsächlich vorgefallenen Ereignisse ausgeschmückt bzw. verzerrt dargestellt wurden. Besonders bei der Geschichte rund um Verginia lassen sich mehrere Phasen der Entwicklung und vor allem ihre stetig zunehmende Ausschmückung festmachen. In den ersten Überlieferungen sind denn auch keine Namen erwähnt und die Rahmenhandlung erinnert irgendwie an jene der Lucretia im Zusammenhang mit dem Sturz des Königtums.

Von Appius Claudius haben sich keine Portraits erhalten


Quellen: P.Matyszak "Geschichte der römischen Republik", "Der kleine Pauly"

 

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(PL)