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Flavius Valentinianus (I.)

Herrschaft I (Innenpolitik)

Die Ansprache des neuen Kaisers verlief indes nicht ohne Zwischenfälle. Es kam zu Tumulten, da einige Soldaten forderten, Valentinianus möge auf der Stelle einen Mitregenten ernennen. Nach den Ereignissen der letzten Zeit, war dieses Sicherheitsdenken verständlich. Die militärische Lage war nach dem Tod zweier Kaiser in so kurzem Abstand bedrohlich geworden. Valentinianus gab dem Druck nicht sofort nach, entschied sich dann aber seinen Bruder Valens als „Reservekaiser“ zu berufen. Damit war für ihn das dynastische Prinzip festgelegt, ein Zeichen an die Armee und natürlich auch für potentielle Verschwörer.

Kurz nach der Ankunft in Konstantinopel erkrankten sowohl Valentinianus als auch Valens schwer. Die Schuld schob man Anhänger des Iulianus in die Schuhe und sprach von Magie. Die Zeit wurde sehr vom Aberglauben beherrscht und den Kampf zwischen Heiden- und Christentum muss man auch unter diesem Gesichtspunkt sehen. Die damaligen Christen machten gerne ihre heidnischen Mitmenschen für die Unbilden des Lebens verantwortlich, weil sie ihnen magische Kräfte zuschrieben, die für das Unheil in der Welt verantwortlich sein sollten. Es kam zu einem strengen Gerichtsverfahren, wo jedoch keine konkreten Anhaltspunkte gefunden werden konnten. Beide Kaiser genasen und so verlief die Sache im Sand.

Im April 364 zogen die beiden auf den Balkan in die Nähe der Stadt Naissus, wo sie die künftigen Einflusssphären abgrenzten. Valentinianus entschied sich für die Westhälfte des Reiches, da sie unter dem Ansturm der Germanenstämme litt. Dies bedeutete auch eine politische Aufwertung, denn die ranghöchsten Augusti hatten schon lange ihre Zelte nur mehr im Osten aufgeschlagen. Die Perser waren seinerzeit zwar gegen Iulianus erfolgreich, konnten aber offensichtlich das römische Territorium nicht weiter bedrohen. So erhielt der jüngere Valens den Osten. Die noch von Iulianus fusionieren Heeresabteilungen wohl wurden im Zuge dieser Entscheidungen ebenfalls wieder getrennt.

Die nächste Station ihrer Reise hiess Sirmium, wo sie auch den Hofstaat teilten und die letzten Details ihrer Einflusssphären klärten. Diese Entscheidungen können jedoch nicht im Sinne einer Reichsteilung ausgelegt werden. Es gab mit Valentinianus immer noch einen ranghöheren Augustus und die Gesetze waren überall gültig. Weiterhin war Latein die Amtssprache, datiert wurde nach Consuln und auch die Währung blieb einheitlich. Es war somit eine reine innere Verwaltungsangelegenheit, die ihre Ursachen in den Überlegungen zur Tetrarchie des Diocletianus hatte. Nachdem die Punkte zur Zufriedenheit aller geklärt waren, gingen die Brüder auseinander. Sie sollten sich nie wieder zu Gesicht bekommen.

Die erste Massnahme des neuen Kaisers betraf die Religionspolitik. Das von ihm erlassene Edikt ist leider nicht erhalten geblieben, doch aus Verweisen eines Ediktes von 371 kann man erschliessen, dass Valentinianus allen Bewohnern des Reiches Religionsfreiheit gewährt hatte. Diese Entscheidung wurde von der Bevölkerung gutgeheissen, denn nach den Eskapaden von Constantius II. und Iulianus sehnten sich die Menschen nach innenpolitischer Ruhe. Selbst die damaligen Schriftsteller, allen voran Ammianus Marcellinus, zollten dieser Entscheidung Respekt. Eine Entschärfung betraf auch die Gladiatorenspiele. Christliche Verbrecher durften ab 365 nicht mehr in die Arena geschickt werden.

Einen völlig anderen Weg schlug Valentinianus beim Umgang mit der Führungsschicht des Reiches ein. Die Reichen und Mächtigen waren ihm suspekt und es dauerte nicht lange, dass er mit den Senatoren in Rom im Clinch lag. Der Kaiser sollte Rom selbst niemals sehen und verkehrte mit dem Senat nur schriftlich. 364 wurde ein Schreiben von ihm verlesen, das die archaischen Riten der Opferbeschau und nächtliche Kulte missbilligte. Der Senat in Rom verstand sich zu diesem Zeitpunkt als heidnischer Gegenpol zu Konstantinopel, wodurch die alten Kulte von den einflussreichen Senatorenfamilien besonders gepflegt wurden.

Der Kaiser goss noch Öl ins Feuer, indem er Posten, die früher der Senatsaristokratie zugänglich waren, ausschliesslich mit pannonischen Vertrauten besetzte und die militärischen Kommanden immer mehr Germanen überliess. Zahlreiche Prozesse gegen die Angehörigen der Oberschicht in der einstigen Reichshauptstadt vergifteten die Beziehungen weiter.

Dem Ansehen der Soldaten als eine reine Bande von Beutemachern trat er entgegen, indem er ihnen für ihre Freizeit Ausstattungen (Land, Vieh, Saatgut, Werkzeug) zur Verfügung stellen liess, in der sie sich als Bauern betätigen konnten. In einer Zeit der schrumpfender Bevölkerung waren viele Landstriche entvölkert und konnten damit wenigstens notdürftig in die Wirtschaft zurückgeführt werden. Die grundbesitzenden Führungsschichten sahen dies naturgemäss mit Argwohn, doch wurde durch diese Massnahme ein Ausgleich in der Bezahlung der Armee geschaffen, der durch die Inflation des letzten Jahrhunderts deutlich gelitten hatte. Der Militärdienst war nicht nur deswegen als äusserst unpopulär und viele versuchten sich bei den Zwangsrekrutierungen etwa durch Selbstverstümmelung zu drücken.

Den einfachen Menschen auf dem Lande war der Kaiser hingegen zugetan und behandelte sie milde. Da die Staatskasse bedrohlich leer war, erhöhte er um 370 kräftig die Steuern und führte Abgaben ein, die von Iulianus abgeschafft worden waren. Die wichtigste davon war das Kranzgeld, das aus einer Leistung goldener Kränze von Stadträten und Grossgrundbesitzern bestand. Die Erhebung der Steuern wurde aber vereinfacht, Ausnahmen abgeschafft und die Lasten insgesamt gerechter verteilt. Währungspolitisch setzte er die konstantinische Reform fort und führte den goldenen Solidus als Grundlage für die Steuerbemessung ein.

Besonders das sich immer noch fest in senatorischer Hand befindliche Italien hatte unter dem Steuerdruck zu leiden. Als besonders berüchtigt galt der Prätorianerpräfekt Sextus Claudius Petronius Probus, der aus Italien und Illyrien ein Maximum an Geld herauspresste. Dennoch sind zahlreiche Massnahmen erhalten, die zeigen, dass Valentinianus derartige Massnahmen so lange hinauszögerte, bis sie unumgänglich für die Staatskasse wurden. Begleitende Erlasse sollten zudem sicherstellen, dass sich nicht Günstlinge im Umfeld des Hofes an den Einnahmen bedienen konnten.

In diesem Sinne schuf er in seinem Herrschaftsgebiet eine neue Institution ins Leben. Zwischen 368 und 370 wurden defensores civitatis (Volksverteidiger) ernannt. Ihre Aufgabe lag im Schutz der Armen und Schwachen vor der Ausbeutung der Mächtigen. Die Prätorianerpräfekten hatten für jede Stadt einen solchen Verteidiger zu ernennen. Ihre Namen mussten dem Kaiser bekannt gemacht werden und sie hatten das Recht jeder Beschwerde nachzugehen und dafür zu sorgen, dass Gerechtigkeit geübt wurde.

Die Pläne waren indes nicht neu, aber erst Valentinianus hatte sich getraut sie in die Tat umzusetzen. Sie entsprangen seiner Mentalität als ehemaliger einfacher Soldat aus Pannonien. Seiner Ablehnung der bisher herrschenden Klasse ist es auch zu verdanken, dass die Willkürherrschaft auf dem Lande (vor allem im Wirkungskreis der grossen Landgüter) und der Einfluss des senatorischen Adels generell zurückging.

Kolossalstatue aus der Zeit der Valentinianus, die vermutlich den Dynastiegründer selbst zeigt


 

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(PL)